Wenn du heute am Julius-Tandler-Platz vorbeigehst, siehst du den Franz-Josefs-Bahnhof vielleicht als reinen Verkehrsknoten. Doch seine Geschichte reicht weit zurück. 1870 fuhren hier die ersten Züge der Kaiser-Franz-Josefs-Bahn ein – damals noch in einen provisorischen Bahnhof. Schon zwei Jahre später wurde an dieser Stelle ein prächtiges Gebäude eröffnet, errichtet auf dem Gelände des ehemaligen Palais Althan-Pouthon.
Der Bahnhof war ein Kind der Ringstraßenzeit im Stil der „Wiener Rennaisance”: mit aufwendiger Fassade, kaiserlichem Wartesalon und allegorischen Figuren, die „Austria“ und „Bohemia“ darstellten. Er war nicht nur ein Ort, um in den Zug zu steigen, sondern ein Symbol dafür, wie modern und wichtig Wien geworden war. 1891 bekam der Bahnhof sogar elektrisches Licht – für viele Wiener:innen damals ein kleines Wunder.

Glanzverlust und Zerstörung
Doch der Glanz hielt nicht ewig. Schon um 1900 war das Gebäude zu klein, und Fern- und Lokalzüge drängten sich auf engem Raum. Mit der Straßenbahnlinie 5, die 1907 angebunden wurde, bekam der Bahnhof eine noch größere Rolle im Wiener Stadtverkehr. Im Zweiten Weltkrieg aber änderte sich alles: Bombenangriffe und Brände zerstörten große Teile der Anlage.
Zwar fuhren schon bald wieder Züge, doch vom ursprünglichen Prachtbau war kaum etwas übrig. Die Uhrtürme und Stuckverzierungen verschwanden, der Bahnhof wurde auf das Nötigste reduziert. Für viele Wiener:innen war das ein sichtbares Zeichen, wie stark der Krieg die Stadt verändert hatte.
Abriss und Neubau in den 1970er Jahren
In den 1970er Jahren war der alte Bau schließlich so heruntergekommen, dass man sich für den Abriss entschied. 1974 wurden die Reste abgetragen, und vier Jahre später eröffnete der Neubau. Statt historischer Fassade gab es nun eine moderne Anlage, die den Zeitgeist spiegelte. Neu war auch die Idee, die Gleise zu überdecken und die Fläche darüber zu nutzen.

Der nüchterne Bau spiegelte den Zeitgeist wider, wichtig war nun vor allem Funktionalität. Über den Gleisen entstanden große Büro- und Universitätsgebäude, darunter das Universitätszentrum Althanstraße. Jahrzehntelang prägten tausende Studierende diesen Ort – doch in den letzten Jahren sind viele Institute in neue Gebäude übersiedelt, etwa in den Campus beim Alten AKH. Damit hat sich das Viertel rund um den Bahnhof erneut stark verändert.
Bedeutung heute
Heute wirkt der Franz-Josefs-Bahnhof bescheidener als in seiner Kaiserzeit. Die großen Fernzüge fahren über den Hauptbahnhof, und hier starten vor allem Regional- und S-Bahn-Verbindungen, etwa nach Krems oder ins Waldviertel. Für viele Pendler:innen ist der Bahnhof dennoch unverzichtbar. Bis 2024 wurde er umfassend modernisiert: Bahnsteige, Zugänge und Wartebereiche wurden erneuert, der Bahnhof barrierefrei gemacht und heller gestaltet. So soll er auch in den kommenden Jahrzehnten ein Teil des Wiener Bahnnetzes bleiben.

Ein Spiegel des Bezirks
Der Franz-Josefs-Bahnhof ist viel mehr als ein Verkehrsbau. Wer seine Historie kennt weiß – er spiegelt die Geschichte des Alsergrunds wider: den kaiserlichen Glanz des 19. Jahrhunderts, die Zerstörung im Krieg, den Pragmatismus der Nachkriegszeit und die moderne Stadtentwicklung mit Universitätsgebäuden und Büros. Wenn du heute am Julius-Tandler-Platz stehst, siehst du nicht nur Züge und Gleise. Du stehst an einem Ort, an dem sich die Geschichte Wiens und des Alsergrunds wie unter einem Brennglas verdichtet – ein Ort, der sich immer wieder neu erfindet.