In der Nußdorfer Straße 22, mitten am Alsergrund, befand sich ursprünglich ein schlichtes Wohnhaus. 1861 kaufte es der Fotograf Albin Mutterer. Gemeinsam mit dem bekannten Zimmermeister Fellner ließ er dort einen hölzernen Glas-Pavillon errichten – ein modernes Fotoatelier mit viel Tageslicht, das weithin sichtbar war.
Das Gebäude war nicht nur architektonisch auffällig: Auf dem Dach prangte eine riesige Nachbildung jener Medaille, die Mutterer auf der Wiener Weltausstellung 1873 für seine „Sculpteur-Photographie“ erhalten hatte. Der Fotograf war bekannt dafür, Verstorbene so zu fotografieren, als wären sie noch am Leben. Ein Geschäftszweig, der damals völlig üblich – wenn auch heute befremdlich – war. Heute steht an dieser Stelle die Nußdorfer Markthalle.
Ehemals ein Ort für letzte Bilder
Damals entstanden im Inneren des Glas-Pavillons außergewöhnliche Porträts: Mutterer war spezialisiert auf sogenannte Leichenfotografie. Verstorbene wurden in einen Lehnstuhl gesetzt, Augen und Hände später von einem Porzellanmaler retuschiert. Das Atelier wurde damit auch zu einem Ort des Gedenkens – besonders in der arbeitenden Bevölkerung, die sich ein solches Erinnerungsbild leisten konnte.

Die Bauweise des Pavillons – mit viel Glas und Holz – war zwar ideal für natürliches Licht, aber auch brandgefährlich. 1873 kam es zur Katastrophe: Chemikalien entzündeten sich, das Atelier brannte nieder. Mutterer erlitt schwere Verbrennungen und starb kurz darauf. Das Gebäude wurde vollständig zerstört.
Die Markthalle entsteht
Nach dem Brand wurde das Grundstück neu bebaut – diesmal mit einem ganz anderen Zweck: 1880 eröffnete an dieser Stelle die Nußdorfer Markthalle. Sie war die kleinste von fünf neu errichteten Markthallen in Wien, bot aber Platz für rund 117 Marktstände.

Der Standort war gut gewählt: Am Zusammenfluss von Alserbach und Währingerbach gelegen, entstand hier ein lebendiger Nahversorgungsort mit Dach über dem Kopf – ein Fortschritt gegenüber den bisherigen offenen Märkten. Die Halle galt als sogenannte „Detailmarkthalle“: ideal für den täglichen Einkauf von Lebensmitteln, Fleisch, Geflügel und Milch.
Abriss? Nicht mit dem Bezirk!
Mehrmals gab es Diskussionen, die Markthalle abzureißen, beispielsweise um einer U-Bahn-Station zu weichen. In den 1970er-Jahren geriet die Halle erneut in Gefahr – diesmal wegen des wachsendem Autoverkehrs. Die Stadt plante den Abriss, doch es regte sich Widerstand. Zahlreiche Gutachten betonten den historischen Wert des Baus. Die Bevölkerung setzte sich erfolgreich für den Erhalt ein.
Heute steht die Nußdorfer Markthalle unter Denkmalschutz und ist die letzte bestehende Markthalle Wiens. Vom Glas-Pavillon ist nichts mehr erhalten, doch ihre Geschichte ist eng mit dem Ort verbunden: Wo einst Bilder für die Ewigkeit entstanden, werden heute Brot, Käse und Gemüse verkauft. Zwar nicht mehr an Marktständen, jedoch im selben Gebäude wie damals. Und der Alsergrund erinnert sich an beide Gebäude – und an die Menschen, die sie geprägt haben.